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Zur Krie der deutchen Univerität

Zur Krie der deutchen Univerität

Eris J. Keim und Wiebke Keim

English Translation

Im föderativ verfassten Deutschland fanden in letzter Zeit an den Hochschulen verschiedener Bundesländer Proteste gegen die Bildungs- und Hochschulpolitik des Bundes und der Länder statt, die sich gegen die miserablen Studienbedingungen, Studiengebühren, die chronische Unterfinanzierung, die Kürzung von Hochschulgeldern und gegen den so genannten „Bologna-Prozess“ richteten und die – anders als bei früheren Protestbewegungen – von Studenten und Professoren gemeinsam getragen wurden. Diese Kundgebungen sind Anzeichen einer tief sitzenden Krise des Bildungswesens im Allgemeinen und der Universitäten im Besonderen, ebenso wie das jüngste Scheitern des „Bildungsgipfels“, bei dem Bund und Länder sich vor allem über die künftige Finanzierung der Bildungsaufgaben verständigen wollten. Das einmal angestrebte Ziel, die Ausgaben für Bildung und Forschung, die 2008 bei rund 8 Prozent des Bruttoinlandsproduktes lagen, bis zum Jahre 2015 auf zehn Prozent zu steigern, ist fallen gelassen worden.

Damit erlebt Deutschland zum zweiten Male innerhalb des letzten halben Jahrhunderts eine Krise der Universität, ja eine zweite Bildungsmisere überhaupt. Neben einigen Parallelen, wie etwa die Forderung nach mehr Mitbestimmung der Studentenschaft, gibt es gravierende Unterschiede. Während die erste „Bildungskatastrophe“, die in den 1960er Jahren von Georg Picht und Ralf Dahrendorf konstatiert worden war, eine umfassende Reform der Hochschulen und des Studiums hervorrief, die unter dem Signum der Einheit und Freiheit von Forschung Lehre und der „Bildung für alle“ stand und vor allem seitens der Studenten mit gesamtgesellschaftlichen und historisch-kritischen Perspektiven begleitet war, hat nun geradezu umgekehrt ein Reformprozeß, der so genannte Bologna-Prozeß – die 1999 einsetzende Organisierung eines europäischen Hochschulraumes nach angelsächsischem Vorbild mit dem Fokus auf „Ausbildung“ nach ökonomischem Nutzen – die zweite Bildungskatastrophe wenn nicht hervorgerufen, so doch maßgeblich verstärkt. Und dies angesichts der schwersten Finanz- und Wirtschaftskrise, die die Bundesrepublik erlebt hat – wobei vieles dafür spricht, dass sich die verschiedenen Krisen gegenseitig bedingen und verschärfen. Zu der komplexen Problematik können hier nur einige Aspekte thematisiert werden.

1. Statistische Daten und aktuelle Lage

Vorab sollen einige nüchterne Zahlen einen ersten Eindruck von der bundesrepublikanischen Hochschullandschaft vermitteln: Derzeit gibt es – der Übersicht „Hochschulrektorenkonferenz: Hochschulen in Zahlen 2009“ zufolge – 355 Hochschulen insgesamt, davon 118 Universitäten, 182 Fachhochschulen, 55 Kunst- und Musikhochschulen; 233 befinden sich in staatlicher, 122 in nichtstaatlicher aber staatlich anerkannter, 82 in privater und 40 in kirchlicher Trägerschaft. Die Zahl der an den Hochschulen Beschäftigten belief sich im Jahre 2009 auf insgesamt 518 613, davon gehören 260 064 Personen zum wissenschaftlichen und künstlerischen Personal. Dieses gliedert sich wie folgt auf: 38 020 sind ProfessorInnen, 6 157 DozentInnen und AssistentInnen, 123 545 sonstige wissenschaftliche und künstlerische MitarbeiterInnen und 7 231 Lehrkräfte für besondere Aufgaben. Zu den Finanzen sei hier soviel angeführt: Die Gesamteinnahmen der Hochschulen beliefen sich 2009 auf 32 Milliarden Euro; 3,9 Milliarden davon stammen aus sogenannten Drittmitteln, von denen wiederum die Deutsche Forschungsgemeinschaft 1,1 und die Wirtschaft 1,0 Milliarden beisteuern.

Im Zeichen neoliberaler Politik und zunehmend globalisierter Ökonomie sind die alten Vorstellungen von der Staats- wie Marktferne der Forschung und Lehre vielerorts aufgegeben worden. Die Universitäten sind funktionieren nunmehr oftmals als staatliche oder private Infrastruktureinrichtungen, die marktnahen Wissens- und Technologietransfer für die nationalen und internationalen Märkte liefern. In vielen Studiengängen ist nicht mehr „Bildung“, sondern „Ausbildung“ gefragt, die sich an Arbeitsplätzen orientiert, und die damit den wirtschaftlichen Bedarf zum Bezugspunkt macht.

Die aktuelle bildungs- und hochschulpolitische Situation ist nun derart verworren, ja desolat, stellt überdies zugleich die Funktionalität des tradierten föderativen Systems infrage und erweist sich als Hindernis für die Entwicklung der Hochschulen. So hat vor kurzem die Bundeskanzlerin verwegen die „Bildungsrepublik Deutschland“ ausgerufen und die CDU-FDP-Koalition in Berlin propagiert in der Debatte um die Sanierung der Staatsfinanzen und um Sparprogramme den „Vorrang für Bildung und Forschung“ (Frankfurter Rundschau vom 10.6.2010). Da der Bund jedoch nur über geringe Kompetenzen auf dem Gebiet von Bildung und Kultur verfügt, die Länder hingegen die Kulturhoheit innehaben, kommt es entscheidend darauf an, was dort geschieht und was für eine Politik namentlich CDU-geführte Landesregierungen betreiben. So hat kürzlich der Ministerpräsident von Hessen und stellvertretende CDU-Vorsitzende erklärt, dass Kürzungen bei Schule und Universität kein Tabu seien. Dementsprechend streicht das Land den Hochschulen bis 2015 jährlich 30 Millionen Euro. In Sachsen stehen gewaltige Kürzungen von 24 Millionen im Jahre 2010 an, womit sich die Lage zuspitzt, nachdem seit 2003 bereits 1 200 Stellen, darunter allein 400 Professuren, gestrichen wurden. Ein anderes Beispiel: Im hochverschuldeten Schleswig-Holstein erfährt der Präsident der Universität Lübeck, dass die Schließung der renommierten und durchaus erfolgreichen medizinischen Fakultät anstehe (Frankfurter Rundschau vom 10.06.2010).

2. Bologna-Reform

Im Jahre 1999 vereinbarten im italienischen Bologna zunächst 29 Wissenschaftsminister, für Europa einen gemeinsamen Hochschulraum zu schaffen. Das Kernstück besteht in einer einheitlichen Studienstruktur mit den aufeinander aufbauenden Abschlüssen Bachelor, Master und Promotion. Mittlerweile haben etwa 95 Prozent der europäischen Hochschulen auf das neue System umgestellt. Für Deutschland bedeutet die Übernahme der am angelsächsischen Modell orientierten Reform die Abkehr von einer 200 jährigen Tradition und von einer im Großen und Ganzen bewährten Studienstruktur mit anerkannten Abschlüssen. Bei einer Zwischenbilanz, die die European University Association mit einer Studie vorgelegt hat (vgl: Frankfurter Rundschau vom 10. und 13/14.3.2010) und die zum Teil sehr widersprüchlich ausfällt, treten deutlich die Schwächen des Bologna-Prozesses beziehungsweise seiner Umsetzung in der Bundesrepublik zutage.

Es sieht so aus, als wären zwei Kernziele der Reform verfehlt worden. Zum einen sollte die Mobilität der Studierenden und der WissenschaftlerInnen erhöht werden. Selbst nach zehn Jahren können die Universitäten nicht eindeutig festmachen, ob der Wechsel von Land und Hochschule erleichtert worden ist. Zwischen 2007 und 2009 stieg die Zahl deutscher Studierender mit Auslandserfahrung gerade mal von 23 auf 26 Prozent – gemessen an den Vorstellung des Bundesbildungsministeriums von 50 Prozent ein nicht gerade berauschendes Ergebnis – zumal es primär die Studierenden der alten Magister- und Diplomstudiengänge sind, die die Muße zum Studium in einem anderen Lande haben. Zum anderen stellt sich die Lage beim zweiten Hauptziel, junge Leute früher in Lohn und Brot zu bringen, ebenfalls nicht rosig dar. So hapert es bei der Akzeptanz der Bachelor-Abschlüsse im Lager der Arbeitgeber, die diese neue Qualifikation oft nicht voll anerkennen, so dass hier der Master als die Eingangsqualifikation für den Beruf betrachtet wird. Und nicht zuletzt ist mit Blick auf die zunehmend verschulte Hochschullehre längst klar geworden, dass der Bologna-Prozeß ohne zusätzliches Personal und Aufstockung der Finanzen nicht zu bewältigen ist.

3. Bildung und soziale Herkunft

Neuere Studien zum Bildungssystem und zu den Bildungswegen in Deutschland haben wieder gezeigt, dass ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungschancen besteht, der wohl in kaum einem anderen Land größer ist. Kinder aus „gutem Hause“ gelangen eher an das Gymnasium und an die Universität als Kinder, deren Eltern nicht studiert haben und über keinen gehoben sozialen Status verfügen. Angehörige der Arbeiterschaft sind an den Hochschulen nach wie vor unterrepräsentiert. Während von 100 Akademikerkindern 83 auf eine Fachhochschule oder eine Universität gehen, sind es bei Nichtakademikerkindern lediglich 23, so die 18. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerkes. Hierher gehört auch, dass nicht einmal jeder zweite Abiturient, der aus ärmeren Verhältnissen stammt, ein Studium anvisiert. Generell rangiert die  Studienanfängerquote in Deutschland unter dem OECD-Durchschnitt. Der Bildungsgipfel vom Juni 2010 hat nun ins Auge gefasst, dass nicht 35 Prozent wie bisher, sondern 40 Prozent der Hochschulberechtigten ein Studium aufnehmen sollen. Wo die Studienplätze herkommen, wie das zusätzliche Lehrpersonal finanziert wird und wo die künftigen AkademikerInnen dann Arbeitsplätze finden sollen, steht jedoch dahin.

Eine weitere Diskriminierung besteht bei Kindern mit so genanntem „Migrationshintergrund“, von denen nur 13 Prozent ein Gymnasium besuchen; bei den anderen Kindern sind es 40 Prozent. Diese Tendenzen setzen sich an den Hochschulen fort. Junge Menschen, die Migrantenfamilien angehören, haben auch an den Hochschulen hohe Hürden zu überwinden, obwohl sie ein riesiges Potential darstellen. Immerhin bieten, wie 4ING, der Dachverein der Fakultätentage der Ingenieurwissenschaften und der Informatik an Universitäten in einer unveröffentlichten Studie feststellt (vgl. Frankfurter Rundschau vom 20.05.2010), technische Disziplinen, die nicht so hohe sprachliche Anforderungen stellen, gute Chancen. Brachten die Ingenieurwissenschaften früher soziale Aufsteiger aus der Arbeiterschaft hervor, sind es heute eher junge Menschen mit Migrationshintergrund.

4. Soziale Schieflagen bei der Studienförderung

In der Bundesrepublik erhalten von den rund 2 Millionen Studierenden lediglich 2 Prozent ein Stipendium. Diese werden in der Hauptsache von den zwölf Begabtenförderwerken vergeben, wie etwa von der Studienstiftung des deutschen Volkes oder von den Stiftungen der politischen Parteien. Davon profitieren bislang jedoch nicht etwa die weniger gut gestellten StudentInnen, sondern die Nachkommen bildungsnaher und einkommensstärkerer Familien, die finanzielle Unterstützung weniger nötig haben. Das jetzt von der Bundesregierung geplante nationale Stipendienprogramm, mit dem künftig bis zu acht Prozent der besten StudentInnen mit monatlich 300 Euro gefördert werden sollen, dürfte nach Ansicht von Kritikern die soziale Auslese an den Hochschulen noch verschärfen anstatt sie zu mildern. Allerdings hat der Bundesrat dieses Programm fürs Erste blockiert.

Ungleichgewichte und Defizite in der Gleichstellung gibt es nach wie vor zwischen den Geschlechtern, wie aus dem Material der „Hochschulrektorenkonferenz: Hochschulen in Zahlen 2009“, anhand von Veröffentlichungen des Statistischen Bundesamtes ersichtlich. Zwar sind Frauen generell auf dem Vormarsch, aber es bleiben gravierende Benachteiligungen. So hat sich der Anteil der Studentinnen, der Anfang der 1990er Jahre noch bei rund 40 Prozent lag, bis zum Jahre 2009 bei 2,01 Millionen Studierenden insgesamt und 0,96 Millionen Frauen auf annähernd 48 Prozent erhöht. Und bei den AbsolventInnen – 286 391 gesamt, 145 380 weibliche und 141 011 männliche – haben die Frauen mittlerweile die Männer überflügelt. Aber bei den Promotionen (Gesamt 23 843; Frauen 10 068; Männer 13 775) und noch eklatanter bei den Habilitationen (Gesamt 1 881; Frauen 457; 1 424 Männer) schneiden die Frauen weitaus schlechter ab. Nimmt man die Verhältnisse bei den Professuren hinzu, wird deutlich, dass das weibliche Geschlecht hierbei seit Beginn der 1990er Jahre, als es etwa 7 Prozent dieser Stellen innehatten, ebenfalls Boden gutmachen konnten, aber mit rund 17 Prozent im Jahre 2008 immer noch weitaus geringere Chancen hatte, gut dotierte und sichere Positionen zu erlangen. Ingesamt wird ein beträchtliches intellektuelles Potential von Frauen für die Wissenschaft und Hochschule vergeudet, während aus dem Pool der männlichen Kandidaten im Umkehrschluss notwendigerweise auch weniger gut qualifizierte ausgewählt werden.

5. Prekäre Arbeitsbedingungen an den Universitäten

Große Probleme tun sich sodann auf hinsichtlich der Beschäftigungsverhältnisse des wissenschaftlichen Personals. Da ist Deutschland etwa im Vergleich zu den USA oder zu anderen europäischen Ländern ein „ziemlicher Ausreißer“, so der Hochschulforscher Reinhard Kreckel. Während anderswo ein sehr viel höherer Anteil – in den USA die Hälfte – der WissenschaftlerInnen festbestallte Professorenstellen innehat, sind es hier nur rund 17 Prozent. Dem akademischen Mittelbau stehen dagegen in der Regel nur befristete Stellen zur Verfügung mit einer maximalen Laufzeit von zwölf Jahren, während anderswo befristete Posten bei Bewährung entfristet werden. Nach Ablauf der 12-jährigen sogenannten Qualifizierungsphase besteht keine Möglichkeit einer Weiterbeschäftigung auf befristeten Stellen mehr. Betroffene haben es ab diesem Zeitpunkt denkbar schwer, noch in anderen als dem wissenschaftlichen Sektor eine Beschäftigung zu finden. Vielfach liegen prekäre Arbeitsbedingungen vor, befristete Drittmittelstellen und Teilzeitbeschäftigung, die lange eine Frauendomäne war, neuerdings aber auch bei Männern rasant zugenommen hat – und das Ganze bei bescheidenen Gehältern, hohem bürokratischen Aufwand, hoher Arbeitsbelastung über die tariflichen Arbeitszeiten hinaus. So endet für viele NachwuchswissenschaftlerInnen die Tätigkeit an der Hochschule in einer „Karrieresackgasse“, es sei denn, es gelingt der Absprung in andere Bereiche oder ins Ausland, wo vielfach attraktivere Bedingungen gegeben sind. Zahlen Auswanderung CH, USA?

Auch derzeitige Fördermaßnahmen wie die Exzellenzinitiative oder die BMBF-Initiative „Förderung für die Geisteswissenschaften“, die vorübergehend die finanziellen Bedingungen in einigen, auf Wettbewerbsbasis ausgewählten Institutionen, Programmen oder Projekten erheblich verbessern, sorgen nicht für die Etablierung langfristiger, nachhaltiger Strukturen und gesicherter Arbeitsverhältnisse. Denn auch hier handelt es sich um zeitlich begrenzte Fördermaßnahmen.

Etwas anderes kommt noch hinzu, nämlich die auffallend hohe Kinderlosigkeit im akademischen Mittelbau, die in der Altergruppe der 20-40Jährigen bei über 70 Prozent liegt. Bei der Professorenschaft verhält es sich so, dass zwei Drittel der Männer Väter sind, während nur ein Drittel der Professorinnen Kinder hat. Es ist offensichtlich, dass sich Professoren wegen der gesicherten Zukunft und wegen der finanziellen Möglichkeiten sich zu entlasten, Kinder eher leisten können. Indessen betrachten es die Bildungsforscherinnen Ingrid Metz-Göckel und Inken Lind als eine „kleine kulturelle Sensation“, dass es überhaupt Mütter in der Wissenschaft gibt, die nicht weniger erfolgreich sind als andere.

Die eingangs erwähnten Proteste nun scheinen nicht ganz spurlos an der Hochschulpolitik vorbeigegangen zu sein. Korrekturen etwa bei den Studienplänen sind hie und da geplant, die Erhöhung der Mittel für die Lehre ist im Gespräch. Ob damit die „gewachsenen Fachstandards und Diskursfelder“ wiederhergestellt und der von Ulrich Beck konstatierten „McDonaldisierung der deutschen Universität“ Einhalt geboten werden kann, wird zu bezweifeln sein. Die Bologna-Reform jedenfalls, die mit Tendenzen der „Uniformierung, Zeitbeschränkung, Fremdbestimmung und Bagatellisierung der freien Wissenschaft“, wie Peter Finke konstatiert, verbunden ist, beschleunigt die Ökonomisierung und Bürokratisierung der Universität. Wolfgang Eßbach bietet rückblickend auf die letzten Reformen einen Ausblick: „Jetzt sagen viele, das haben wir nicht gewollt. Das stimmt mich optimistisch“.